Wenn's Lachen im Gesicht gefriert ...


Es wird Winter… Dezember…Januar… und dann ist es wieder so weit: 

WENN’S LACHEN IM GESICHT GEFRIERT,

IST FASCHINGSZEIT. GANZ UNGENIERT.

 

Musiker brauchen alle immer dringend Gigs. Aber um diese Jahreszeit haben die meisten gestandenen Rocker hier in der Gegend eine Heidenpanik davor, tatsächlich welche zu kriegen. Was die Rocker unter uns dabei umtreibt, ist weniger der Gedanke an die Arbeit an sich, die machen wir ja weiß Gott lange genug. Es ist vielmehr mehr die pure Höllenangst vor dem alljährlichen Arbeitgeber im Februar. 

Schon bevor dir die Kohle ausgeht und du nicht mehr weißt, wie du deine Krankenversicherung bezahlen sollst, steht der zahlkräftige Leibhaftige schon Hufe scharrend und schnaubend vor Angriffslust in den Startlöchern. Ich rede von dem, dessen bloße Namensnennung den Teufel selbst in die Flucht schlägt. Von dem, dessen Name nicht genannt werden soll: 

Vom oberfränkischen Fasching! 

Bestens bekannt für den rücksichtslosen Gebrauch monetärer Erpressung kennt er die Finanzlage ganz genau und steht jedes Jahr manchmal ab Oktober schon lauernd vor der Wohnungstür. Der Henker aller Hoffnung auf kulturelle Besinnung weiß ganz genau, dass die Miete gezahlt werden muss und der sündhaft teure Altskoda wieder Bremsbeläge braucht.

Seit Äonen verbringe ich daher die letzten Monate des alten und die ersten Wochen des neuen Jahres mit heruntergelassenen Rollläden im Dunkeln, das Telefon unter Bergen von Kissen versteckt, damit ich es nicht hören muss, bis ich es schließlich doch ausgrabe, weil der Hunger mich zwingt, endlich ranzugehen. Das Läuten des Telefons verkörpert zu dieser Zeit entgegen seiner ansonsten eigentlich harmlosen Natur das nackte Entsetzen und wandelt sich zur Manifestation eines akustischen Gewaltverbrechens; der Angstschweiß steht einem trotz kalter Jahreszeit vierundzwanzig Stunden am Tag nicht nur auf der Stirn, sondern drückt aus allen Poren eines geschundenen Körpers. Ich hebe nach dem tausendsten Klingeln endlich diesen gottverdammten Hörer ab, wohl wissend, dass ER, dessen Name nicht gennant sein soll, dran sein wird und welche Worte mich erwarten: 

„Na? Kennst du mich noch? Wie geht’s? Es ist jetzt schon fast ein Jahr her, mein Junge. Bist du immernoch zusammen mit den anderen armen Irren am Hungertuch des Idealismus‘ zu finden? Wie isses? Hast du am Rosenmontag Zeit? Nix Schwieriges. ‚KommholdasLassorauswirspielen CowboyundIndianä’, ein paarmal ‚Wahnsinnwarumtreibstdumichindiehöllehöllehöllehölle’, die Chorstimmen hörst du eh selber, das Tempo zähl’ ich dir vor, Schluss auf Zuruf, ab und zu Humpatätäräää, und hast du nicht gesehen, sind die zwölf Stunden um. Zweihundertfünfzig Möpse. Gut, sagen wir 250, damit du deine Steuer und den Sprit noch hast. Festgage, mein Guter! Nix auf Hut! Und falls du wieder Angst hast wegen deiner Nachbarn: Setz’ dir doch einfach ne Pappnase auf, dann erkennt dich keiner. Na? Was is? Bist du dabei?“ 

Das läuft immer ab wie der Hofdialog zwischen einem kleinen Vorstadtkriminellen, der schlechtes, gestrecktes Gras verkauft und seinem Dorfkunden, der in der Gegend halt eben nun mal nix anderes kriegt. 

Und du sprichst es wieder aus… Das kleine Wörtchen, dem du schon so oft abgeschworen hast und das dich schon so oft mit mindestens einem Bein ins Narrenhaus gebracht hat. Unter Tränen quälst du es stockend über die Lippen: „Ja, ok, ich mach’s…“

Du ziehst deine Schuhe an, öffnest die Wohnungstür einen Spalt und zack, hat dir der Vertreter der deutschen Lustigkeit schon die kulturelle Zwangsjacke angelegt. 

Während dich der Fasching am Nasenring zu deinem Auto führt, denkst du daran, wie du dich früher noch gewehrt hast, aber die letzten vierzig Jahre haben dich die Resignation in Reinform gelehrt. “Ich-war-jung-und-brauchte-das-Geld“ zählt nicht mehr. Du bist damit alt geworden. Du weißt, daß jeder Widerstand zwecklos ist. Der oberfränkische Fasching hat dich fest am rechten Arm im unauskommbaren Södergriff. Er verschleppt dich in seinen Proberaum, gut versteckt in einem dunklen Föhrenkieferfichtennadelgetänn, wo dich seine beiden Dominas, die sadistische Schützenliesl und die grenzdebile Rosamunde, beide hervorgegangen aus einer uralten Geschwisterliebe, schon geifernd und zeternd erwarten. Es kommt dir ein unerwartetes und unbeholfenes „Na-ihr-zwei-Hübschen-seid-ihr-auch-wieder-dabei?“ über die Lippen, während sie dich höhnisch grinsend auf den verrosteten Schlagzeughocker schieben und dir ein Wasser ohne Kohlensäure anbieten. 

„Müssen wir das Frankenwaldlied proben? Das können wir uns doch schenken, oder?“ 

Aber sie kennen deine lausigen Ansätze, der Dreiviertelfolter entkommen zu wollen. Sie wissen, dass du es mit der Sechsachtelpeitsche versuchen wirst, weil die weniger weh tut. Aber sie lassen dich nicht. Die Inquisition zwingt dich zu einem 

„Wenn-du-noch-eine-Schwiegermutter-hast-ja-dann-schick-sie in-den-Fraaankenwald! Denn-im-Wald-da-sind-die-Roooooooooooiibä-halli,-hallo-die-Roooooibä…“ 

Dein Kreislauf ist ob der Höllenqualen dabei, zu kollabieren. Der Zusammenbruch jedoch ist dir nicht vergönnt, die gnadenlosen Furien wecken dich mit einem kalten und brutalen „I will survive laaaaalalalalaaaa….“, weil du ja die diesjährigen Neuerungen im Repertoire nicht verpassen sollst. 

Und jene Neuerungen sind wahrlich an Einfallsreichtum nicht zu übertreffen! Es ist, als würden sie dir die Fingernägel mit glühenden Zangen ziehen: 

Ein Helene Fischer Medley, gefolgt von einem Andreas-Gabalier-Best-Of! GRUNDGÜTIGER!

Nun ist die Geschichte der fröhlichen Pappnasenfolter eine wahrlich sehr lange, aber eine derartige Grausamkeit ist wohl noch keinem der alljährlichen Inquisitoren eingefallen. 

„Hoooch die Hände, Freundeee, wo seid iiihr…?“

Es ist an der Zeit: Dein Beißreflex macht sich bemerkbar. Jedes Jahr im Februar untrügliches Indiz dafür, dass deine Belastungsgrenze überschritten ist. 

Du weißt, dass die Bruchkanten an den Schlagzeugbecken gar keine Bruchkanten sind. Die Brüche kommen auch nicht vom Draufhauen. 

Es handelt sich dabei vielmehr um die Bissspuren, die Trommlerzähne hinterlassen, wenn sie versuchen, durch heftiges Zubeißen die psychosomatischen Auswirkungen des Repertoires zu lindern. 

Denn es bleibt ja nicht bei der Probe allein: Wenn man so richtig Pech hat, sind bei den darauffolgenden Auftritten auch so Sachen wie „Elferrat“ dabei. Wo Leute dann lustige Witze vorlesen. Wie der Franke dann vorliest:

„Mei Dochdä hasd Aamäla!“ „Wiesodn des?“ „No, deina hasd doch aa Gisäla!“

Dädä, dädä, dädäääääääää. Bumm.

Und du kannst dich nicht mal betrinken, weil du noch fahren musst. Und die netten Polizisten werden dir wie in jedem Jahr kein Wort glauben, wenn du ihnen erzählst, dass du tatsächlich keinen Schluck Alkohol genossen hast. Sie glauben dir nicht, weil es ja eigentlich gar nicht möglich ist, das alles nüchtern durchzustehen.

Es ist schließlich 2:30 nachts. Es geht ans Abbauen. Wenn einer der Faschingsgläubigen auf dich zuwankt, um dir sagen zu wollen, daß du eine Konifere auf deinem Instrument bist, versteckst du dich schnell hinter dem Keyboarder.

Dann setzt du dich setzt schließlich, aus tausend Wunden blutend, in deinen alten Skoda, schaltest das Radio an und fährst nach Hause. 

Es laufen gerade Nachrichten.  

Neuigkeiten zu Unwettern, zu seltsamen amerikanischen Politikern und verrückt gewordenen Milliardären, zur Resignation vor der Welt von social media, dem globalne, digital gesteuerten Niedergang aller Kultur und dem restlichen grassierenden Irrsinn dieses Planeten.

Immerhin ist wenigstens der Fasching am Aschermittwoch vorbei.

Vielleicht wird’s ja dann auch mal wieder lustiger…

Ein herzliches Helau und bis in Bälde

Steff